Künstliche Intelligenz hat längst Einzug gehalten in unseren Alltag, auch wenn wir das nicht immer merken. Es ist wahrscheinlich, dass auch in der Bildung künftig mehr auf KI gesetzt wird. Wie das aussehen könnte haben wir hier dargelegt. Wenn Künstliche Intelligenz in Schulen und Hochschulen eingesetzt würde, dann könnte das beispielsweise so ähnlich aussehen, wie der folgende Dialog zwischen einem „intelligenten“ Lehr-Roboter und einer Schülerin oder einem Studenten:

Lehr-Roboter: „Hallo Lisa, ich grüße Dich. Du arbeitest im Kurs „History of English“ hervorragend mit.
Lisa: Danke für das Lob – hast du auch etwas auszusetzen?
Lehr-Roboter: Nicht viel. Allerdings solltest Du zur Sicherheit den zweiten Mastery Test zum Thema „Proto-Languages“ nochmal wiederholen, um eine höhere Prozentzahl als die bisherigen 75% zu erreichen. Hast du dazu noch Fragen?
Lisa: Wann ist die Abschlussklausur?
Lehr-Roboter: Am 16. Februar 2019 um 10 Uhr.“
(Aus: Jürgen Handke u.a. : Roboter im Hörsaal. In IM+io September 2018, S. 77)

Sicherlich handelt es sich dabei nicht um ein „Wow-Szenario“. Denn ähnliche Informationen zum individuellen Lernfortschritt kann heute standardmäßig nahezu jedes Lernmanagementsystem mittels Learning Analytics auf Basis von Lernerfolgsmessungen oder formativen Assessments ermitteln. Wo also steckt hier die Intelligenz? Laut Prof. Jürgen Handke, dessen humanoider Teaching-Robot im Rahmen des BMBF geförderte Projekts „Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching“ (H.E.A.R.T.) den obigen Dialog generieren kann, unterscheidet sich sein niedlicher Lehr-Roboter mit den großen Kugelaugen und dem Tablet vor der Brust vor allem in dreierlei Hinsicht von programmierten Lernumgebungen:

  1. Durch die Sensorik – zum Beispiel die Identifikation durch Gesichtserkennung,
  2. durch „Emotionalität“ – vermittels paralinguistischer Reaktionen des Roboters über Mimik oder Gestik (z.B. Augenaufschlag) und
  3. durch Spracherkennung bzw. -erzeugung.

Zusammengenommen können dadurch Dialog- und Interaktionsformen entstehen, die an die Qualität standardisierter menschlicher Informationsgespräche durchaus heranreichen – und diese an manchen Stellen sogar übertreffen, indem Dialoge und Informationen protokolliert und z.B. per eMail übermittelt werden können. Doch die durch ASR (Automatic Speech Recognition) und NLP (Natural Language Processing) erweiterte Mensch-Maschine-Schnittstelle ist nur ein – und wahrscheinlich nicht der wichtigste – Aspekt von KI-gestütztem Lernen.

Der eigentliche Mehrwert intelligenter, lernunterstützender Systeme (ITS = Intelligent Tutoring Systems) liegt vielmehr in der Kombination der genannten Interaktionsformate mit Machine Learning und Big Data-Analytics. Denn das Erkennen von Mustern und sämtliche darauf basierenden Entscheidungs- und Empfehlungsprozesse, die wir aus anderen „intelligenten“ Services (wie z.B. Shopping- und Datingplattformen oder auch Navigationssystemen) bereits kennen und schätzen, setzen in erster Linie Daten voraus – und zwar im großen Maßstab. Nur ein System, das neben individuellen Lernerdaten auch die Kompetenzprofile von möglichst vielen anderen Lernern mit ähnlichen Qualifikationen, in ähnlichem Alter oder aus ähnlichen Branchen kennt und auswertet, wird dazu in der Lage sein, nützliche Aussagen zu den persönlichen Qualifikationsbedarfen oder sogar verlässliche didaktische Beurteilungen zu generieren. Reichweitenstarke Angebote mit vielen (hundert-) tausenden Nutzern (wie z.B. Coursera) sind dabei also klar im Vorteil.

Ein klassisches, regelwerkbasiertes LMS, das aufgrund gemessener Nutzungsdaten Reports generiert und automatisch bestimmte Aktionen vorschlägt (z.B.: „Wiederholen Sie Lerneinheit 2 bevor Sie den Abschlusstest absolvieren…“), ist hier weit unterlegen: Adaptivität wird hier nur in sehr begrenztem Rahmen möglich – und deshalb auch eher als Reglementierung und Bevormundung anstatt als echte Beratungsleistung erlebt.

Das zentrale „Narrativ“ des digitalen Lernens fokussiert jedoch gerade auf Personalisierung und Individualisierung: Trotz wachsender Bildungsnachfrage bei gleichzeitig heterogeneren Lernergruppen sollen künftig maßgeschneiderte, persönliche Lernwege möglich werden: im Einklang mit den eigenen Interessen, Bedarfen und Voraussetzungen – und zwar ohne dadurch Kostenexplosionen des Bildungssystems zu verursachen. Was die „Losgröße 1“ in der industriellen Produktion und die „Precision Medicine“ im Gesundheitsbereich ist, das ist „Individualisiertes Lernen“ in der digitalen Bildung: Ein übergreifendes Leitbild – dem allerdings die Realität bis heute nur ansatzweise entspricht.

Mittels KI rückt dieses Szenario nunmehr in greifbare Nähe: Situative Lernszenarien, assistive Wissensdienste und multimodale Lernangebote, die nicht nur genau dem entsprechen, was der/die jeweilige Lerner/in in der konkreten Handlungssituation benötigt, sondern auch im bestmöglichen didaktischen Design und Format bereitgestellt werden können: Sei es als Sprachdialog mit einem Chatbot, als Smartshow, als dreidimensionale Visualisierung oder als Mixed Reality Lernsetting. Wobei es nie darum geht, die Lehrenden technologisch zu ersetzen, sondern vielmehr, wie Jürgen Handke formuliert: „neue Freiräume für die menschlichen Lernbegleiter (zu) schaffen“ (Jürgen Handke u.a.: Roboter im Hörsaal. In IM+io September 2018, S. 75). Die nachfolgende Abbildung bringt die wichtigsten Komponenten solch intelligenter Lernsetting in eine Übersicht:

Abb.: Komponenten KI-gestützter Lernsettings (© mmb Institut GmbH 2018)

KI-basierte Lernsettings werden demnach dazu in der Lage sein, über semantische Analyseverfahren, Taxonomien und statistische Verfahren (= Machine Learning) semistrukturierte „Big Data“ (z.B. persönliche Leistungsindikatoren, Kompetenzen etc.) und vielformatige Dokumente (z.B. Lerncontent, Kurse etc.) zu analysieren und zu „interpretieren“, sprich: Muster zu erkennen, daraus Entscheidungen abzuleiten und die Nutzer entsprechend zu beraten. „Deep Learning“, also die Fähigkeit von Software, sich selbst zu „trainieren“, macht die Anwendungen dabei exponentiell leistungsstärker und die Empfehlungen immer zuverlässiger. In Verbindung mit Spracherkennung, Dialogfunktionen oder auch mit den erwähnten mimisch-gestischen Komponenten eines humanoiden Roboters lassen sich diese Anwendungen nahtlos in menschliche Interaktions- und Lernprozesse integrieren. Sie können „multimodal“ auf den jeweils geeigneten Endgeräten genutzt und sogar in immersive, virtuelle Lernarrangements eingebettet werden. Der Dialog eines solchermaßen intelligenten Teaching Bots könnte dann z.B. auch so ablaufen:

Lehr-Roboter: „Hallo Lisa: Du siehst müde aus?!“
Lisa: Ja, ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen, weil ich mich auf diese Geschichts-Klausur vorbereiten muss…
Lehr-Roboter: Ja, ich sehe, dass Du bereits deutlich weiter bist, als die meisten deiner Mitschüler/innen. Wenn Du die Klausur mit deiner aktuellen Vorbereitung schreiben würdest, könntest du immerhin mit einer 3 rechnen. Du bräuchtest allerdings mindestens eine 2, wenn Du auch eine 2 im Zeugnis möchtest. Soll ich Dir sagen, wie du das erreichen kannst?
Lisa: Ja, meinetwegen. Lust habe ich allerdings keine mehr…
Lehr-Roboter: OK, dann schau Dir doch einmal dieses 5–minütige Simple-Club Lehrvideo an, und achte besonders auf Kaiser Friedrich IV.
Lisa: Nein, bitte keine Simple-Club Videos… Kannst du mir nicht einfach sagen, was ich noch wissen muss?
Lehr-Roboter: Na gut, dann eben hier meine Kurz-Zusammenfassung der wichtigsten Fakten zu Friedrich IV – ich schicke es Dir auch gleich auf dein Handy, dann kannst du es nachher nochmal in Ruhe nachlesen – aber bevor es losgeht: Kennst Du übrigens diesen alten Witz über Friedrich IV?

Wer Alexa oder Siri kennt und nutzt, weiß, dass dieser – ausgedachte – Dialog noch Zukunftsmusik ist. Aber wahrscheinlich nur noch ein klein wenig.

Von: Dr. Ulrich Schmid

Dieser Beitrag ist zuerst auf www.digitalisierung-bildung.de erschienen.