Eine erste Auswertung unserer Corona-Blitzbefragung von 64 E-Learning-Unternehmen hat gezeigt, dass sich für etwa die Hälfte der Anbieter bei der Entwicklung des Umsatzes wenig ändert. 25 Prozent verzeichnen eher rückläufige Umsätze und 27 Prozent profitieren von der Corona-Krise. Wer zählt zu den Unternehmen, die von der Krise besonders profitieren? Und welche Hindernisse stehen entgegen, dass es nicht (noch) besser läuft?

Junge Unternehmen und reine Online-Anbieter verzeichnen Umsatzzuwächse

Im Rahmen der Anonymisierung der Befragungsdaten haben wir unter anderem geprüft, ob es sich bei den Teilnehmern um ein kleines oder großes Unternehmen (mit mehr als 50 Mitarbeitenden) handelt, wann es gegründet wurde (Unternehmen mit einer Gründung nach 2014 zählen für uns als „junges Unternehmen“) und bei welchen Unternehmen das Geschäft ausschließlich Online-Produkte und -Services umfasst. Diese Angaben wurden in den anonymisierten Datensatz übernommen.

Reine Online-Unternehmen, beispielsweise Produzenten von Trainingsvideos, von Webinar-Lösungen oder Web Based Trainings, sind erwartungsgemäß besser aufgestellt, um der Corona-Krise zu trotzen oder den mit dem Lock-Down verbundenen Umständen sogar noch Positives abzugewinnen. So ist die Umsatzentwicklung bei den 17 befragten reinen Online-Anbietern deutlich positiver als bei den Befragten insgesamt. 41 Prozent verzeichnen hier höhere Umsätze, nur sechs Prozent Umsatzrückgänge. Die Corona-Krise mit ihren Kontaktverboten bringt es mit sich, dass Formen der Präsenzlehre, z.B. Blended Learning, aber auch Virtual Reality-Vorführungen, schlechtere Chancen auf dem Markt haben.

Noch positiver als bei den reinen Online-Unternehmen stellt sich die Situation für die 14 befragten „jungen Unternehmen“ dar, von denen sich sogar die Hälfte auf der Gewinnerseite sieht, bei denen aber auch 29 Prozent Umsatzverluste beklagen. Offensichtlich begünstigt die Corona-Krise gerade junge EdTech-Unternehmen mit ihren neuen Ideen und Geschäftsmodellen, weil viele potenzielle Kunden auf der Suche nach neuen Lösungen für ihre Lernprobleme sind und so auch auf weniger bekannte Anbieter stoßen. Doch bei Startups ist auch das Risiko größer, mit diesen Ideen zu scheitern.

Für große E-Learning-Anbieter ändert sich wenig

Die 18 befragten großen Unternehmen der digitalen Bildungswirtschaft mit mehr als 50 Mitarbeitenden zeichnen sich in der Krise durch Beständigkeit aus – ähnlich wie bei den Befragten insgesamt erfährt die Hälfte von ihnen (50%) allenfalls geringe Umsatzsteigerungen oder Einbußen. Der Anteil der „Umsatzgewinner“ liegt mit 33 Prozent etwas höher als bei allen Befragten zusammen. Für die „Elefanten“ in der Branche stellt sich also das Krisengeschäft solide bis positiv dar. Diese Entwicklung ist allerdings nur für wenige von ihnen ein Anlass, mehr Personal einzustellen (13%). Neue Mitarbeitende suchen hingegen die reinen Online-Unternehmen (47%) und die „jungen Unternehmen“ (46%) – dort liegt der Anteil deutlich höher als in der Branche insgesamt (21%).

Vorteile durch Kunden mit Nachholbedarf

Macht es einen Unterschied, welchen Kundenkreis man mit Produkten und Services anspricht?

Wie die Befragung zeigt, haben in Krisenzeiten solche Unternehmen Vorteile, die Kunden mit besonders großem Nachholbedarf ansprechen. Überproportional mehr Umsatz generieren z.B. Unternehmen, die sich an Weiterbildungsakademien (43%) und Schulen (56%) wenden, wobei nur neun Befragte den Markt „Schule“ bedienen. Die Anbieter mit Schwerpunkt Corporate Learning – und das sind in unserer Befragung mit 46 Befragten die meisten – liegen eher im Mittelfeld mit einem gleichbleibenden Umsatz (59%). Nur 19 Prozent verzeichnen hier Umsatzrückgänge, was wohl auf das kontinuierliche Geschäft mit den Bestandskundenunternehmen zurückzuführen ist.

Unzureichende Ausstattung und geringere Auftragsbereitschaft als Markthindernisse

Dass bei weitem nicht alle Unternehmen zur Zeit steigende Umsätze melden, hängt auch an den Herausforderungen, die die Nachfrage einschränken. 46 der insgesamt 64 Befragten äußerten sich hierzu ausführlich in einer offenen Frage.

Um es vorweg zu nehmen: Die Befragten haben die Gelegenheit nicht nur genutzt, um sich über Probleme mit den Voraussetzungen bei ihren Kunden oder mit Rahmenbedingungen auszulassen. Sie waren auch durchaus selbstkritisch: 56 Prozent der Anbieter nennen (auch) Hindernisse im eigenen Hause.

Welche Hindernisse werden am häufigsten erwähnt? Spontan nannten 29 Prozent der Befragten Probleme mit der Ausstattung als größtes Markthindernis. Hier beklagen die Anbieter mit Corporate-Kunden u.a. die

„Fehlende Bandbreite, fehlende Ausstattung in den Unternehmen und mangelnde Infrastruktur“.

Gleiches gilt auch und erst recht für das Schulsystem – und hier mit Blick auf den „Digital gap“ in den Familien:

„Schnellerer Ausbau der IT-Infrastruktur in den Schulen. Also, gute PCs und Remote-Zugriffe von zuhause möglich… Für die soziale Teilhabe müsste das Familienministerium sozial schwachen Familien Geld für die Anschaffung zur Verfügung stellen.“

Einige Unternehmen sehen übrigens die technischen Hindernisse auch im eigenen Hause, weil sie bei vielen gleichzeitigen Zugriffen eine stabile Plattform anbieten oder schnell ihre Serverkapazität erhöhen müssen.

Die zweitgrößte Sorge gilt der Zahlungsbereitschaft der Kunden: Rund 20 Prozent der Unternehmen fürchten, dass ihre Kunden sich jetzt mit Aufträgen zurückhalten. Der Vertreter eines jungen Unternehmens möchte jetzt

„…als Firma die Auswirkungen der Krise durch verzögerte Beauftragungen überstehen“.

Ein weiterer befürchtet eine neue „Kostenlosmentalität“ angesichts vieler Gratis-Angebote während der Corona-Krise:

„Aktuell werden vornehmlich kostenlose Angebote nachgefragt oder laufende Projekte beschleunigt. D.h. starker Trend hin zum E-Learning bei gleichzeitig eingeschränktem Umsatz. Es bleibt zu hoffen, dass aus den vielen kostenlosen Neukunden später zahlende Bestandskunden werden.“

Herausforderung: Den vielen Kundenwünschen gerecht werden

Gleichauf mit dem Thema Zahlungsbereitschaft liegt die Problematik der Content-Bereitstellung. Rund 20 Prozent der Befragten sehen die Schwierigkeit, die vielen verschiedenen Wünsche nach passenden Lerninhalten und maßgeschneiderten Lernsystemen zu erfüllen:

„Geschwindigkeit. Die Anbieter und die Kunden sind zu langsam, um den dynamischen Märkten zu begegnen. Qualitative Bildung braucht Zeit zur Entwicklung. Die Zeit haben wir nicht. In den nächsten Jahren wird „Time to market“ von Bildungsangeboten die vorherrschende Währung sein. Wer schnell und qualitativ hochwertig ´liefern´ kann, wird auch gute Umsätze machen. Dazu gehören Inhalte sowie Systeme.“

Diese Aufgabe ist für einen Markt, der überwiegend von „Customized“-Angeboten lebt, schwer zu bewältigen. Hinzu kommt, dass der Angebotsmarkt gerade durch die vielen neuen Corona-induzierten Angebote (Kommunikationsplattformen etc.) noch intransparenter geworden ist. Ein Befragter beklagt den…

„…Wildwuchs an Angeboten, schlecht informierte Lehrerinnen und Lehrer, wenig Kompetenzen, Angebote zu bewerten“.

Immerhin neun Prozent der Befragten sehen dieses Problem bei der Darstellung des Angebots.

Widerspruch zwischen Innovationstempo und Mindset

Weitere Hindernisse sind fehlende Organisationsstrukturen für die digitale Bildung, vor allem auf Seiten der Kunden (16% der Befragten). Selbst bei gutem Willen für eine schnelle Digitalisierung fehlt die Einbindung in Unternehmensstrategien, fehlt ein entsprechendes „Mindset“ aller Beteiligter. Es mangelt aber auch an politischen Rahmenbedingungen:

„Wir müssen ein Change Management nicht nur bei den Bildungseliten (Bildungsbürgertum) schaffen, sondern auch die anderen Milieus mitzunehmen. Digitales Lernen darf nicht am Einkommen und am Milieu scheitern. Digitale Bildung für alle! Wann kommt Milla?“

Die Argumente zum Mindset gehen Hand in Hand mit der Klage über mangelnde Kompetenzen auf der Entscheiderebene sowie bei den Lehrenden und den Nutzern (16%).

Die Hindernisse, die die Befragten im Zusammenhang mit der Didaktik ansprechen (13%), betreffen u.a. eine momentane Corona-bedingte Fixierung auf synchrone Lernformate wie Webinare oder Live Videos. Die Potenziale des asynchronen und zeitunabhängigen Lernens würden außer Acht gelassen.

Deutlich seltener, von sieben Prozent der Befragten, wird das Thema „Kommunikation“ angesprochen. Hier geht es kurzfristig um die Kommunikation mit den Kunden, die durch deren momentane Arbeitssituation ins Stocken geraten ist, aber auch um die Kommunikation mit Ansprechpartnern in der Politik, die auf Anfragen nicht antworten.

Fazit: Die Probleme, die es während und nach der Corona-Krise beim digitalen Lernen zu lösen gilt, sind vielschichtig. Die Ergebnisse der Befragung zeigen aber auch, wo man ansetzen kann – vor allem bei der Technik, beim Mindset und bei den Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden. Doch dies waren auch schon vor Corona die wichtigsten Handlungsfelder bei der Einführung des Lernens mit digitalen Medien – und werden es auch noch sein, wenn die Corona-Krise ein Ende findet.

Von: Dr. Lutz Goertz