Ein nicht unwesentlicher Teil der Bildungsforschung des mmb Instituts in den letzten vier Jahren befasste sich mit der Digitalisierung in Deutschlands Schulen. Die Studien reichen von repräsentativen Untersuchungen zum IST-Stand der IT-Ausstattung und -Nutzung im Unterricht im „Monitor Digitale Bildung. Nr. 3: Schule“ für die Bertelsmann Stiftung (Schmid et al. 2017), über die „Evaluation schulischer Medienbildung“ im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Goertz/Baeßler 2017) bis zu Standortanalysen wie der „Bedarfsanalyse Digitalisierung an Schulen in der Region Hannover“ für die Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung der Region Hannover. Die in diesen Forschungszusammenhängen geführten Interviews und Fokusgruppen, die Teilnahme an Tagungen und Workshops und nicht zuletzt die erstellten Auswertungen, Berichte und Präsentationen inkl. Handlungsempfehlungen bieten Anlass und Grundlage genug, ein Zwischenfazit zu ziehen.

Kennt man eine Schule und ihren digitalen Medieneinsatz – kennt man alle?

Ein Blick auf die in allen Studien identifizierten Bedarfe der Schulen – in erster Linie die der Schulleitungen, aber auch jene von Schulträgern, Lehrerinnen und Lehrern sowie mitunter von Schülerinnen und Schülern – zeigt tatsächlich drei wiederkehrende Top-Bedarfe:

  1. IT-Infrastruktur und -Ausstattung: Breitbandanbindung, WLAN-Ausstattung, Supportsicherung, BYOD
  2. Lehrer/innen-Qualifizierung: praxisbezogene Weiterbildungsangebote
  3. Pädagogisch-didaktische und technische Standards und Beratung

Auch, wenn in nahezu allen Interviews und Workshops betont wird, dass die Integration digitaler Medien in den Unterricht nicht technikgeleitet oder -getrieben sein darf, sondern vielmehr von pädagogisch-didaktischen Zielen her gedacht werden muss: Der Bedarf am Aus- bzw. Aufbau medientechnischer Infrastruktur und Ausstattung steht immer an erster Stelle. „Ohne funktionierendes WLAN und eine Breitbandversorgung geht gar nichts!“, ist hierzu das Standardzitat und – so ein Eindruck von der Seitenlinie – leider auch oft eine leichte Ausrede, sich nicht näher mit der Materie und den Möglichkeiten zu beschäftigen. Das Splitting der Zuständigkeiten wirkt dabei eindrücklich kontraproduktiv: die Technik-Verantwortung liegt beim Schulträger, dem Land obliegt die inhaltliche Zuständigkeit, die Schule bzw. Lehrer/innen zeichnen für die pädagogisch-didaktische Umsetzung verantwortlich. Vonnöten, und aus allen Perspektiven auch mehrfach geäußert, sind gemeinsam entwickelte, übergreifende Konzepte, welche Technik, Inhalt und Didaktik zusammendenken. Realität sind hingegen beständige Ressentiments und schlechte Erfahrungen bei der Kommunikation zwischen den Instanzen und Beteiligten.

Zweiter übergreifender Top-Bedarf ist der nach Weiterbildungsangeboten, die nicht nur direkt in die Praxis eingebunden werden können, sondern auch möglichst vor Ort mit der jeweils an den Schulen vorhandenen Technik stattfinden (gerade in Flächenländern wie Brandenburg sind zentral stattfindende Fortbildungsseminare ein Ärgernis für die Lehrer/innen). Verfügbare Angebote werden aber auch ob ihrer Antiquiertheit und teilweise fehlenden Qualifikation der Weiterbildner/innen kritisiert. Von deren Seite wird hingegen oft eine gewisse „Weiterbildungsfaulheit“ auf Lehrer/innen-Seite beobachtet. Eine fehlende Motivation des Lehrpersonals sich mediendidaktisch weiterzubilden, hat bereits die ICILS Studie 2013 gezeigt. Und auch unsere Untersuchungen bestätigen, dass Medienbildung bzw. Medienintegration in den Unterricht eher als zusätzliche Belastung denn als Bereicherung oder gar Problemlöser wahrgenommen wird. Weit verbreitet sind auch Einwände in Bezug auf die fehlende wissenschaftliche Bestätigung, dass digitale Medien im Unterricht positive Lerneffekte aufweisen. Neuerdings gehört in diese Linie auch das „Argument“, dass „die im Silicon Valley inzwischen ja selbst medienabstinent werden, weil sie sehen wohin die Digitalisierung führt“ – nämlich in Abhängigkeiten und Realitätsverzerrung. Letztlich – und das ist eine hier vertretene These – haben Lehrerinnen und Lehrer häufig Angst vor einem Kontrollverlust. Sie beobachten den versierten Umgang ihrer Schüler/innen mit Smartphone und Co, fühlen sich abgehängt und überfordert und fürchten, sie könnten ihren Schützlingen diesbezüglich nichts mehr beibringen. Dies stellt das traditionelle Verständnis der Wissensvermittlung und zugleich ihre Rolle als Lehrer in Frage.

Eng damit zusammen hängt der dritte wiederkehrende, besonders dringende Bedarf: Der Ruf nach Standards und Beratung hinsichtlich pädagogisch-didaktischer und technischer Aspekte. Hierbei geht es nicht so sehr um den Medienkompetenzerwerb, als vielmehr um den sowohl von Schulen als auch von Schulträgern geäußerten Wunsch nach Vereinheitlichung, nach verbindlichen Vorgaben oder zumindest Empfehlungen von staatlicher, d.h. Landesseite. Dabei zeigen sich durchaus regionale Unterschiede im Blick auf den konkreten Beratungsbedarf. Während in der Region Hannover insbesondere Schulträger infrastrukturelle, technische und rechtliche Empfehlungen und Richtlinien vermissen, fordern die Schulen im Land Brandenburg vor allem mehr Unterstützung und Beratung bei der Erstellung der Bildungspläne: Das Land hatte hier durch die Integration eines „Basiscurriculum Medienbildung“ in den Rahmenlehrplan 1-10 inhaltliche Vorgaben gemacht, welche Kompetenzen fächerübergreifend zu fördern sind. Die Schulen waren verpflichtet ihr schulinternes Curriculum (SchiC) daraufhin zu über- bzw. zu erarbeiten. Genau hierbei fühlten sich viele Schulen aber allein gelassen: „Jetzt machen wir die Arbeit des Landesinstituts!“. Ihnen waren die Vorgaben bzw. das Curriculum zu unkonkret und sie wünschten sich mehr praktische Beispiele, wenn nicht sogar gleich eine einheitliche SchiC-Vorlage.

Auch hierin offenbaren sich wieder die Suche nach Kontrolle und der Wunsch nach Vorgaben und Richtlinien, aber eben vor allem auch nach Orientierung und sinnvollen Wegen durch die digitale Bildungswelt.

Zwischenfazit: So wird das nichts?

Ist also angesichts dieser Befunde ein durchweg negatives Zwischenfazit zu ziehen? Oder sind die Schulen vielmehr auf einem guten dem Weg und ringen allenfalls hier und da noch mit Problemen und Hindernissen? Ist das Glas halbleer oder halbvoll? Ist das in der KMK-Strategie „Bildung in der Digitalen Welt“ formulierte Ziel, nach dem „möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler … eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können sollte“ utopisch?

Nein, das Glas erscheint eher halbvoll, denn auch das hat sich in allen Forschungskontexten gezeigt: Es gibt großartige, kreative und dazu einfache Beispiele, wie guter Unterricht mit Medieneinsatz gelingt:

  • Digitale Medien wie Tablets in einem gesteuerten BYOD-Modus sind teilweise (wenn auch noch selten) ganz selbstverständlicher Teil vieler Unterrichtsstunden. Eine durch die Leibniz-Universität durchgeführte (aber noch nicht veröffentlichte) Evaluation an einer Hannoverschen iPad-Pilotschule ergab beispielsweise, dass die Angst der Lehrer/innen, schülereigene Tablets im Unterricht würden die Schüler/innen zu sehr ablenken, deutlich abgenommen hat, nachdem die Lehrer/innen die Geräte regelmäßig im Unterricht eingesetzt haben.
  • Medien kommen mit einfachsten Mitteln und auch in Fächern zum Einsatz, die nicht unbedingt auf der Hand liegen, wie z.B. im Sportunterricht: In einer Brandenburger Schule filmten ältere Schüler/innen die korrekt ausgeführte Standwaage und erstellten für ihre jüngeren Mitschüler/innen ein Erklärvideo.
  • Des Weiteren gibt es besonders kreative und kooperative Umsetzungen, wie Tablet-gestützte Musik- und Geräuschexperimente in Zusammenarbeit mit dem professionellem Kammerorchester der eigenen Stadt (Kammerakademie Potsdam) als ein Teil des Musikunterrichts.
  • Gute Praxis zeigt sich darüber hinaus nicht nur im mediengestützten Unterricht. Auch Schulträger ergreifen zum Teil die Initiative, indem sie in ihren Schulen digital ausgestattete Testräume einrichten und allen – Lehrer/innen wie Schüler/innen – ausreichend Zeit zum Konzipieren, Testen und Verwerfen mediendidaktischer Ansätze geben, bevor sie dann eine flächendeckende Ausstattung bestellen.
  • Schließlich gibt es auch in der Lehrerbildung vielversprechende Maßnahmen, die Medienkompetenzen der Lehrer/innen im aktiven Schuldienst zu fördern, indem z. B. Lehramtsseminare geöffnet (z. B. Universität Potsdam) oder Unterrichtsstunden in Kooperation von Studierenden und Lehrerinnen und Lehrern in medientechnisch voll ausgestatteten Klassenzimmern abgehalten werden (z. B. Uni-Klassenzimmer an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd).

Sicher, es fehlt noch an vielem, nicht zuletzt an innovativem Content und guten Lernanwendungen, doch die genannten Beispiele sind durchaus zahlreich und nach und nach werden sie auch verstärkt kommuniziert. Dazu tragen nicht zuletzt eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktivitäten, wie zum Beispiel die des „Forum Bildung Digitalisierung“ bei. Gute Ideen und Erfahrungen verbreiten und über diesen Weg Begeisterung und Motivation schaffen, das führt zum Grundprinzip der folgenden Empfehlungen des mmb Instituts.

Empfehlungsprinzip: Hilfe zur Selbsthilfe

Die relative Ähnlichkeit der Bedarfe spiegelt sich in den folgenden Empfehlungen wider:

  1. Bottom-up-Strategie

Durch das konsequente Anknüpfen an bestehende und bewährte Lösungen in der Region, die Einbeziehung von außerschulischen Institutionen wie Medienzentren und Medienbildungsverbänden kann Akzeptanz, Identifikation und Motivation geschaffen werden.

  1. Koordinations- und Beratungsstelle

Gerade der Bottom-up-Ansatz erfordert eine koordinierende Instanz, welche die Aktivitäten in den verschiedenen Handlungsfeldern überblickt, bündelt und abstimmt. Durch Austausch und Netzwerkbildung mit allen Stakeholdern übernimmt sie auch eine beratende Funktion, insbesondere für die Bereiche Infrastruktur und Didaktik.

  1. Medienbasierte Weiterbildung

Der Medienkompetenzerwerb sowie die Medienkompetenzförderung sollten in allen Phasen der Lehrbildung nicht nur praxisorientiert, sondern insbesondere auch medienbasiert durch die Bereitstellung und Nutzung informeller und formaler Wissensressourcen und Endgeräte erfolgen.

  1. Lernplattform oder Cloud für alle

Sowohl die (medienbasierte) Erweiterung der Lehrerbildung als auch der Transfer guter Praxis lässt sich durch die Einführung einer schulübergreifenden, landesweiten Lern- und Kommunikationsplattform oder „Schulcloud“ für (angehende) Lehrer/innen, Schüler/innen und Eltern gezielt unterstützen.

  1. Pädagogischer Medienberater und technischer Medienwart

Zur adäquaten Sicherung des technischen und pädagogisch-didaktischen Supports sollten an jeder Schule zwei entsprechende unterstützende und miteinander zusammenarbeitende Personen zur Verfügung stehen: ein/e „pädagogische Medienberater/in“ sowie ein „Medienwart“ für den technischen Support. Für beide Aufgaben ist jeweils ein Berufsprofil zu schaffen bzw. zu beschreiben.

Von: Dr. Berit Blanc

Dieser Beitrag ist zuerst auf www.digitalisierung-bildung.de erschienen.