Der soeben erschienene „Monitor Digitale Bildung“ zur Digitalisierung der Weiterbildung kann mit einigen Befunden aufwarten, die in dieser Form nicht unbedingt erwartbar gewesen wären:

  1. Die Hälfte der Bevölkerung lernt online

Da ist zunächst die Tatsache, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung (46%) in den vergangenen 12 Monaten online gelernt hat, wobei unter Lernen auch situatives und beiläufiges „Lernen“ in Alltagssituationen verstanden wurde, z.B. zum Thema Kochen oder Gesundheit. Hätte man angesichts der Fülle an Online-Angeboten, der Allgegenwart mobiler Geräte und der Vielzahl alltäglicher Lernanlässe nicht einen deutlich höheren Anteil an Online-Lernern in Deutschland erwarten können? Beispielsweise gibt es in unserer (5-köpfigen) Familie an manchen Tagen niemand, der oder die nicht irgendetwas „digital“ lernt, sei es mit einer spielerischen App zum Grundschulrechnen, einem Udemy-Fotokurs, in einer Whatsapp-Lerngruppe oder mit einem Gitarren-Erklärvideo auf YouTube oder Garage Band. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass es sich bei den erwähnten 46% um einen repräsentativen Wert handelt, in dem sich auch die überwiegend digitale Zurückhaltung älterer Bevölkerungsgruppen ausdrückt, und wenn man ferner bedenkt, dass Schüler, Studierende und Auszubildende (alles wichtige internet-affine Zielgruppen!) in dieser Befragung ausgeschlossen wurden, da sie bereits in früheren Untersuchungen des „Monitors Digitale Bildung“ befragt wurden, dann ist die Aussage: „Knapp die Hälfte der Bundesbürger lernen online“ ebenso plausibel wie respektabel.

  1. Online dominiert das informelle Lernen

Zweitens hat der Weiterbildungs-Monitor gezeigt, dass die große Mehrheit (etwa 80%) derjenigen, die digitale Bildungsangebote nutzen, vorzugsweise informell lernen, wobei diese Lernaktivitäten zumeist beruflich veranlasst sind. Das heißt, es werden überwiegend kurze, problem- und handlungsorientierte Wissensangebote in Form von Text, Audioangeboten oder – und dies dominiert ganz deutlich – Videos abgerufen, die in irgendeinem Bezug zu den jeweiligen beruflichen Aufgaben stehen (z.B. Sprachen, IT/EDV). Für etablierte Anbieter beruflicher Weiterbildung müsste dieser Befund ein echter „Wake-up Call“ sein.

  1. Bildungsanbieter sind: Google und YouTube

Drittens belegt der Monitor, dass auch der Online-Bildungs-Bereich erheblich durch die großen Web-Portale geprägt wird. Viele der Befragten erinnerten sich nämlich nicht daran, von welchem Anbieter die jeweils abgerufenen Lern- oder Wissensinhalte stammten. Gesucht wird in erster Linie themen- und problemorientiert, weniger nach Anbietern oder Bildungsmarken. Und der Weg dahin führt in der Regel über Google und YouTube, wenngleich es inzwischen auch einige reichweitenstarke Bildungsplattformen im Netz gibt, wie z.B. den YouTube Channel: „MrWissen2go“ mit über 500.000 Abonnenten. Gerade beim situativen Lernen spielt es aus Nutzersicht jedoch keine vorrangige Rolle, ob beispielsweise ein Erklärvideo zur Wundpflege von einem Hersteller von Wundverbänden stammt oder von einer akkreditierten Pflegeschule – maßgeblich für deren Nutzung sind eher Abrufzahlen und Likes. Dies erschwert in gleicher Weise die Marktpositionierung wie auch das „Brand Building“ der Wissensdienstleister im Netz. Umgekehrt bedeutet dies: Wenn Weiterbildungsanbieter auch künftig als eigenständige Bildungsmarken wahrgenommen werden möchten, müssen sie sich dringend profilieren und vor allen Dingen in Online-Marketing investieren.

  1. Weiterbildungseinrichtungen setzen auf Blended Learning

Interessant ist viertens, dass auch die institutionelle Weiterbildung inzwischen immer stärker online stattfindet – allerdings überwiegend im Sinne von Begleit- und Zusatzangeboten, seltener substitutiv oder gar „disruptiv“. Die im Rahmen des Monitors befragten „Entscheider/innen“ aus Weiterbildungsorganisationen teilen allesamt die gleiche Meinung, wonach die Zukunft Ihrer Angebote im „Blended Learning“ liegt. Die Zitate lauten etwa: Webinare werden zunehmen und können Präsenzen ergänzen. Sie sind auch ökonomischer, obwohl die Erstellung auch teuer ist (Leiter einer staatlichen Einrichtung 61 Jahre). Oder: Egal wie die Trends aussehen, Fakt bleibt, dass die Mischung erfolgversprechend ist: Blended Learning! Welcher Mix mit welchen Schwerpunkten, ist dann von der Zielgruppe abhängig. (Vorstandsmitglied Bundesverband). Auch die 62-jährige Geschäftsführerin einer regionalen Weiterbildungsorganisation setzt nach wie vor auf Präsenz und digitale Angebote. Wir werden intelligente Formen entwickeln müssen, um den Mix sinnvoll umsetzen zu können. (…)  Meine Hoffnung: Der Austausch untereinander ist ungeheuer wichtig, aber virtuell nicht vollständig im Lehr-Lern-Bereich möglich.

Die im letzten Zitat zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, dass traditionelle Bildungsformate ihre Bedeutung auf lange Sicht behalten, kann auch mit Zahlen belegt werden: so berichten nur 24% der befragten Einrichtungsleiterinnen und -leiter, dass ihre Kunden digitale Lernformate explizit nachfragen.

  1. Privatwirtschaftliche Bildungseinrichtungen sind tendenziell „digitaler“

Trotz dieses eher geringen Kunden-Interesses misst die Hälfte der befragten Einrichtungsleiter (55%) den digitalen Lernformen heute eine hohe strategische Relevanz zu – bei den privat-kommerziellen Anbietern sind es sogar 67%. Zugleich räumt mehr als die Hälfte der Befragten selbstkritisch ein, dass es an ihrer Einrichtung noch keinen systematischen Einsatz digitaler Lernmedien gibt. Wobei es signifikante Unterschiede zwischen großen, privaten und überwiegend beruflich orientierten Weiterbildungsunternehmen einerseits, und öffentlich finanzierten Einrichtungen (z.B. Volkshochschulen) bzw. kleineren, thematisch fokussierten Weiterbildungsunternehmen andererseits gibt: Privatwirtschaftliche und größere Unternehmen setzen generell stärker auf digitale Technologien als staatlich getragene und kleinere Organisationen, und sie stufen auch die Qualität ihrer technischen Ausstattung besser ein als gemeinnützige Anbieter (67% zu 36%) oder Volkshochschulen (50%).

  1. Der „Digital Learning Divide“ droht

Schließlich soll ein weiterer Befund dieser Studie nicht unterschlagen werden, der – gerade vor dem Hintergrund der Diskussion über eine mögliche Erhöhung der Bildungsteilhabe durch die breite Verfügbarkeit digitaler Bildungsangebote von Bedeutung ist. Der vorliegende „Monitor“ kann diese Hoffnung nicht stützen und zeigt vielmehr, dass Menschen mit geringerer formaler Bildung sowie Nichtberufstätige deutlich seltener zur Gruppe der digital Lernenden gehören. Dieser „Digital Divide“ in der Weiterbildung ist jedoch keine Folge der zunehmenden Digitalisierung sondern als „Matthäus-Effekt“ in der Bildungsforschung bereits seit langem bekannt: Formal weniger Gebildete nutzten immer schon seltener Weiterbildungsangebote als die formal Gebildeteren. Interessant wäre allerdings, ob sie noch weniger Bildungsangebote nutzten, bevor es digitale Angebote (im heutigen Umfang) frei zugänglich im Netz gab – ein Punkt, den der Monitor nicht beantworten kann. In jedem Fall macht dieser Befund den bildungspolitischen Handlungsbedarf deutlich: Denn es besteht die Gefahr, dass das Potenzial der digitalen Medien für mehr gesellschaftliche Teilhabe und Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich, wieder nicht eingelöst wird.

Von: Dr. Ulrich Schmid

Dieser Beitrag ist zuerst auf www.digitalisierung-bildung.de erschienen.