Die aktuelle Berichterstattung zur Corona-Krise lässt manchmal den Eindruck entstehen, dass die E-Learning-Branche zu den großen Profiteuren dieser Krise zählt. Denn selbst Unternehmen und Bildungsinstitutionen, die sich bisher zurückhaltend bei der Online-Bildung zeigten, verstärken jetzt massiv ihre digitalen Aktivitäten. Können die Anbieter aus der digitalen Bildungsbranche diese Veränderungen bereits positiv wahrnehmen, oder schlägt sich der Shutdown im Gegenteil sogar eher negativ in den Geschäftszahlen nieder? Und wie wird sich die E-Learning-Branche in der Zeit nach der Krise entwickeln? Das mmb Institut hat genau zu diesen Fragen eine aktuelle Blitzbefragung unter den Anbietern digitaler Lernservices und -tools durchgeführt, an der sich innerhalb von fünf Tagen 64 E-Learning-Unternehmen beteiligten.

Corona spaltet die Branche

Zwar bringt der Shutdown für knapp die Hälfte der Unternehmen bislang kaum spürbare Veränderungen mit sich – auf einer Skala von minus 5 bis plus 5 sehen sich 48 Prozent der Befragten in der Mitte (zwischen minus 1 und plus 1) –, aber immerhin mehr als ein Viertel (27%) der Unternehmen stellt bereits jetzt eine positive Umsatzentwicklung fest. Demgegenüber stehen freilich fast gleich viele Unternehmen, deren Geschäft sich derzeit nicht besonders gut entwickelt: 25 Prozent rechnen aktuell mit Umsatzeinbußen. In einer offenen Frage berichten manche Unternehmen, dass potenzielle Kunden aus Mangel an Orientierung keine kurzfristigen Entscheidungen treffen möchten. Andere befürchten, dass angesichts der Krise derzeit immer weniger Kunden bereit sind, höhere Budgets für Weiterbildung bereitzustellen.

 

Konsequenzen für die Mitarbeitenden?

Bei der kurzfristigen Entwicklung der Zahl der Mitarbeitenden zeigt sich ein analoges Bild. Auch hier stehen die Zeichen für die Hälfte der befragten Unternehmen auf „bleibt gleich“ (50%), 21 Prozent werden ihr Personal aufstocken, 29 Prozent rechnen hingegen mit einem Personalabbau. Es ist also keineswegs so, dass die E-Learning-Branche in der Gänze von der Corona-Krise profitiert. Vielmehr spaltet die Krise die digitale Bildungswirtschaft in nahezu gleich viele Gewinner und Verlierer – wobei für die meisten derzeit noch keine nennenswerte Veränderung wahrnehmbar ist.

 

Strategische Wachstumsfelder: Beratung und Online-Content

Doch wie sehen die Perspektiven aus – welche Services und Produkte werden strategisch besonders wichtig? Zwei Drittel der Unternehmen rechnen in erster Linie mit einer wachsenden Nachfrage im Geschäftsfeld Beratung, denn viele Kunden scheinen gerade jetzt nach passenden Lösungen und nach Orientierung im E-Learning-Dschungel Ausschau zu halten. Gleichauf folgen danach mit jeweils 58 Prozent a) der Verkauf bzw. die Lizenzierung von Software-Tools, b) das Anbieten von digitalen Lerninhalten und Kursen und c) die Erstellung und Veredelung von digitalen Lerninhalten. Letzteres ist auch das Geschäftsfeld, in das die meisten E-Learning-Unternehmen (33%) strategisch stärker investieren möchten, gefolgt von der Entwicklung und dem Anbieten digitaler Lerninhalte und Kurse (31%).

 

Pragmatisch, online, niedrigschwellig: Welche E-Learning-Tools sind jetzt besonders gefragt?

Von der aktuellen Krise profitieren nach Einschätzung der Anbieter vor allem Lernformen, die primär online funktionieren und zugleich nicht zu komplex und aufwändig sind. Der Spitzenreiter (80%) sind somit die Virtual Classrooms und Webinare, die ja von ihrer Funktion her den zurzeit viel beanspruchten Web-Konferenzen ähneln: Eingeführte Tools also, die sich als praktisch erwiesen haben und vielen bereits bekannt sind.

Neben Videotutorials und adaptiven Lerntechnologien setzt eine Mehrheit der Anbieter derzeit große Erwartungen auf Micro-Learning (66%), mobile Anwendungen und Apps (64%). Auch Web Based Trainings (56%) und soziale Lernformen (55%) werden aktuell von vielen als weiterhin attraktiv eingestuft. Unwichtiger hingegen erscheinen Lernformen, die erstens relativ teuer sind und zweitens stärker auf digitales Lernen in Präsenz setzen, z.B. Virtual Reality Learning, 25%, und Augmented Reality Learning, 33%. Das Schlusslicht bilden Serious Games (33%) – als eher komplexes Lernformat mit gleichfalls hohem Investitionsaufwand.

 

Die E-Learning-Anbieter sind optimistisch: Berufliche Bildung wird ganz sicher digitaler

Was wird nach Corona sein? Wird das digitale Lernen dann für alle Lernenden aufgrund ihrer aktuellen Erfahrungen selbstverständlich werden oder fallen sie – vielleicht sogar mehr denn je – in ihre alten, analogen Gewohnheiten zurück? Im Blick auf die „Nach-Corona-Zeiten“ zeigt sich ein überraschend einhellig positives Bild: Alle Befragten stimmen der Aussage zu: „Berufliche Bildung und Weiterbildung wird deutlich und auch nachhaltig ´digitaler´ werden“. Demnach würde also die Corona-Krise der Branche endgültig zu dem Durchbruch verhelfen, den sie sich seit langem erhofft. Fast alle befragten Unternehmen (98%) sind jedenfalls davon überzeugt, dass die aktuelle Krise die Vorteile des Online-Lernens unter Beweis stellt. Nur 23 Prozent glauben, dass die Krise auch Nachteile des digitalen Lernens offenbart. Rund vier Fünftel (79%) rechnen nicht mit einem „Backlash“ und damit einem Rückfall in klassische analoge Lerngewohnheiten. Und nur 11 Prozent der Befragten befürchten, dass sich nach dem aktuellen Bedeutungszuwachs der Stellenwert des digitalen Lernens wieder auf das „Vorkrisen“-Niveau einpendeln wird.

Ob sich diese optimistischen Prognosen der Branchenvertreter dann auch bald in ihren Geschäftsbüchern niederschlagen werden und die digitale Bildungswirtschaft als Gewinner aus der Krise hervorgehen kann, oder ob man sich jetzt einfach nur vom Hype des allgemeinen „Digital Turns“ beflügelt fühlt, bleibt offen. Wenn es stimmt, dass jede Krise die ohnehin vorhandene Tendenzen und Entwicklungen verstärkt, dann spricht einiges dafür, dass sich vor allem einfache, nutzungsfreundliche und unaufwändige digitale Lernangebote durchsetzen, die an vorhandene Technologien und Medienkompetenzen anknüpfen. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse unserer Folgestudie im Herbst 2020, wenn der Shutdown – hoffentlich – Vergangenheit ist.

Von: Dr. Ulrich Schmid und Dr. Lutz Goertz