Anfang März 2023 haben wir unsere aktuelle Ausgabe des „mmb Learning Delphi“ mit Einschätzungen zur Zukunft des digitalen Lernens in Deutschland veröffentlicht. 95 Expertinnen und Experten wurden hierfür befragt. Doch die Antworten auf eine Frage aus dieser Studie haben wir uns noch aufgespart: „Welche drei Standorte in Deutschland werden Ihrer Einschätzung nach in den nächsten drei Jahren eine große Bedeutung als EdTech-Standort haben?“

Diese Frage war bewusst ein wenig augenzwinkernd gestellt, denn hierfür gibt es keine greifbaren Kriterien. Die Antwort ist eher eine Bauchentscheidung, evtl. auch geprägt von Lokalpatriotismus oder durch EdTech-Unternehmen, die man in einer bestimmten Stadt kennt. Deshalb hat die Auswertung der Frage auch nicht den Status eines offiziellen Rankings, sondern gibt eher ein Stimmungsbild wieder.

Was können wir unter einem „EdTech-Standort“ verstehen? Nach einer Definition basierend auf van der Graaf et al. (2021) und Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. (2021) beschreibt Education Technology (EdTech) die Verwendung unterschiedlicher digitaler Tools in Lernkontexten. Das kann von Spiele-Apps über Lernplattformen bis hin zu Robotik reichen. Gleichzeitig kann mit dem Begriff auch das Unternehmen gemeint sein, das entsprechende Tools anbietet. Man verbindet mit EdTech auch die Idee besonders innovativer Unternehmen, zu denen oft Start-ups gehören. Ein besonderer EdTech-Standort ist danach eine Stadt oder eine Region, in der viele EdTech-Unternehmen ihren Firmensitz haben.

Welche Städte gelten nun hiernach in den kommenden drei Jahren als besonders wichtig bei der Ansiedlung von EdTech-Unternehmen? Die Antwort ist nicht sonderlich überraschend – es sind Berlin mit 57 Nennungen und München mit 42 Nennungen (siehe Abbildung 1). Auf der einen Seite steht damit die „hippe“ Hauptstadt mit einer kreativen Szene und einer internationalen Orientierung, auf der anderen Seite die bayerische Landeshauptstadt mit vielen großen Unternehmen als potenzielle Kunden im direkten Umfeld.

Erst mit größerem Abstand folgen die beiden anderen deutschen Millionenstädte Köln (18) und Hamburg (17). Ebenfalls zweistellig ist auch Frankfurt am Main mit 11 Nennungen. Demnach sind die EdTech-Zentren klar an die Metropolen gekoppelt. Ein künftiges deutsches „Digital Learning Valley“ auf der grünen Wiese ist sicherlich nicht zu erwarten.

Abbildung 1: Verteilung der Nennungen für künftig wichtige EdTech-Standorte, Expert:innen-Voting im „mmb Learning Delphi“ 2022/2023, n=72

Einige Befragte haben bewusst keine Städte sondern Regionen genannt, z. B. das Ruhrgebiet (5 mal) oder auch ganze Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen (4 mal). Bei EdTech-Standorten sollte man also auch die Fläche betrachten. Insgesamt entfallen auf NRW 44 Nennungen (Städte plus Regionen). Hier fällt außerdem der Norden von Baden-Württemberg mit den Standorten Stuttgart, Heilbronn und Heidelberg auf (10 Nennungen), aber auch Sachsen mit insgesamt fünf Votings für Leipzig, Dresden und Chemnitz.

Interessant ist ein Blick auf kleine und mittelgroße Städte, die man nicht sofort mit einem prominenten E-Learning-Standort assoziiert, zum Beispiel Heilbronn (5) und Bielefeld (3). Im Falle von Heilbronn kann dies mit der Hochschule Heilbronn zusammenhängen, die häufig Gastgeber von Veranstaltungen mit EdTech-Bezug ist und auch verschiedene E-Learning-Förderprojekte durchführt. Bielefeld ist seit sieben Jahren Sitz der Founders Foundation, die junge Unternehmen in verschiedenen Phasen der Gründung begleitet. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hierbei auf EdTech-Unternehmen.

Abbildung 2: Links die Zahlen der EdTech-Unternehmen nach Dealroom (n=662), rechts Nennungen der mmb Learning Delphi Expert:innen (n=72)

Dass die Expertinnen und Experten des mmb Learning Delphi mit ihrem „Bauchgefühl“ gar nicht so schlecht liegen, zeigt eine Übersicht von Daten des Informationsbrokers Dealroom. Die Karte (Abbildung 2) weist für einzelne Standorte der Zahl der EdTech-Unternehmen in Deutschland aus. Die Verteilung ist der des mmb Learning Delphi-Votings sehr ähnlich. Auch hier liegen Berlin (243, mit weitem Abstand) und München (80) vorne, gefolgt von Hamburg (47) und Köln (27). Weitere Parallelen: Die Regionen im Norden von Baden-Württemberg sowie Nordrhein-Westfalen mit mehreren Standorten bilden jeweils ein Cluster.

Spannend ist es auf jeden Fall, die weitere Entwicklung dieser Standorte und Regionen auch in Zukunft zu verfolgen. Offen bleibt allerdings die Frage, welche Rahmenbedingungen die Ansiedlung von EdTech-Unternehmen in einer Stadt oder Region fördern. Ist es die Nähe zu großen Unternehmen oder die Förderung innovativer Ideen an Hochschulen? Ist es eine quirlige kulturelle Szene mit hohem kreativen Potenzial oder einfach die Ruhe fernab vom großstädtischen Getümmel? Hierzu führt das mmb Institut zur Zeit im Auftrag der Founders Foundation (siehe oben) eine Studie auf europäischer Ebene durch. Junge Unternehmensgründer:innen aus verschiedenen europäischen Regionen werden dort Auskunft über die Beweggründe geben, ihr Unternehmen an einem bestimmten Ort anzusiedeln. Die Studie wird voraussichtlich im Sommer 2023 erscheinen.

Von: Dr. Lutz Goertz (Abbildungen von Michael Georgi)